Der Prozessverlauf im Fall Hoeneß dürfte bei vielen Beobchtern den Eindruck erwecken, eine Selbstanzeige sei vor nahezu vollständiger Auswertung von Bankunterlagen nicht sicher möglich – jedenfalls in komplexen Fällen – und gleiche eher einem Roulette. Dem ist nicht so.
Im Fall Hoeneß wurde im Verlauf des Strafprozesses die Steuerschuld immer höher: Beinahe stündlich erhöhte sich Hoeneß‘ Steuerschuld – von zunächst 3,5 Millionen über 9 Millionen auf letztendlich bis zu 27 Millionen Euro (F.A.Z. vom 12.3.2014)
Woher kommen die 27 Millionen Euro hinterzogener Steuern?
Die Hoeneß-Anwälte meinen, die Selbstanzeige habe sogar eine Hinterziehung von 60 bis 70 Millionen Euro abgedeckt; daher sehen sie sogar noch erheblich „Luft nach oben“. Grund ist, dass in der Selbstanzeige für die erzielten Gewinne eine Summe in grob geschätzter Höhe von 130 Millionen Euro genannt wird. Bei einem Einkommensteuersatz plus Solidaritätszuschlag von knapp 50 Prozent seien so bis zu 70 Millionen Euro abgedeckt. Grundsätzlich werden die Summen bei einer Selbstanzeige immer eher zu hoch als zu niedrig angesetzt, damit man nicht zu viel nachdeklarieren muss.
Die Selbstanzeige war offenbar ungenügend
Die Ankläger gehen nach dem dritten Prozesstag hingegen weiterhin davon aus, dass die Selbstanzeige gescheitert ist, weil sie wegen formaler Mängel unvollständig gewesen sei – so habe Hoeneß in einer beigefügten Aufstellung nur für drei Jahre Gewinne angegeben. Das habe das Gericht moniert. Und letztlich hielt das Gericht die Selbstanzeige für unwirksam.
Die Formulierung „In der Selbstanzeige … sind sämtliche Zahlen bereits enthalten“ lässt zusammen mit den bekannt gewordenen Umständen wie dem rapiden Anstieg der Steuerschuld und dem Umstand, dass die Unterlagen zur Zeit des Prozesses nicht ausgewertet waren, vermuten, dass Einkünfte in der Höhe nicht explizit erklärt wurden, sondern aus den Unterlagen zusammen zu puzzeln sind.
Das widerspricht dem Vollständigkeitsgebot: Mit der Neuregelung der Selbstanzeige durch das Schwarzgeldbekämpfungsgesetz
vom 28. 4. 2011 hat der Gesetzgeber das zuvor von der Rechtsprechung des BGH (20. 5. 2010, 1 StR 577/09) statuierte
Erfordernis der Vollständigkeit in Paragraph 371 Abs. 1 der Abgabenordnung – AO – aufgenommen.
Vollständig meint „Reinen Tisch machen“. Es bedeutet aber auch, dem Finanzamt den nachzuerklärenden Sachverhalt so vorzutragen, dass dieses den Sachverhalt und die sich daraus ergebende Steuerschuld unschwer nachprüfen kann.
Die gestufte Selbstanzeige
Das Erfordernis der Vollständigkeit schliesst ein gestuftes Vorgehen nicht aus. Im Fall Hoeneß erfolgte offenbar eine sog. gestufte Selbstanzeige:
Da die Bankunterlagen i. d. R. nicht oder nicht vollständig vorliegen oder noch auszuwerten sind, wird zunächst – auf der
ersten Stufe – eine Nacherklärung an das Einkommensteuerfinanzamt mit geschätzten Zahlen gerichtet, um das
Entdeckungsrisiko auszuräumen. Die Konkretisierung der geschätzten Zahlen erfolgt sodann – auf der zweiten Stufe –
zeitlich versetzt nach Auswertung der Bankunterlagen.
Die Konkretisierung muss sich jedoch innerhalb der mit der Schätzung nacherklärten Beträge halten. Ergibt die Konkretisierung darüber hinaus gehende Einkünfte, erweist sich die Schätzung als ungenügend, mithin nicht sachgerecht, und die Selbstanzeige als unwirksam.
Nun wird im Fall Hoeneß die besondere Schwierigkeit derart dargestellt (F.A.Z. am 12.3.2014), dass es rund 50 000 Transaktionen gebe, jede sei mit mehreren Belegen verbunden und teile sich in Kassa-, Termin- und Swapgeschäft auf. Die Unterlagen steckten demnach in mehreren Umzugskartons.
Doch dies schliesst eine sachgerechte Schätzung nicht aus. Ist ein steuerlich bedeutsamer Ssachverhalt nicht vollständig bekannt, so ist die Steuer zu schätzen. Eine Schätzung hat sachgerecht zu sein. Je unsicherer die Tatsachengrundlage ist, umso grösser ist der sog. Schätzungsrahmen – das ist die Streubreite, innerhalb derer sich eine Schätzung bewegt. Wie weit die Schere auseinandergehen kann, verdeutlicht der Fall Hoeneß geradezu prototypenhaft.
Eine Schätzung, mit der man sich durch Selbstanzeige der strafrechtlichen Verfolgung zu entziehen versucht, hat sich unter Vorsichtsgesichtspunkten am oberen Schätzungsrahmen zu orientieren. Dementsprechend sind die Einkünfte zu eindeutig deklarieren, und nicht etwa als Spanne aus der sich das Finanzamt einen Wert rauspicken kann.
Zeigt sich nach Auswertung der Unterlagen, dass die Schätzung deutlich zu hoch war, so macht es sie nicht nachträglich falsch. Es ist auf den Zeitpunkt der Schätzung abzustellen, zu der Zeit muss sie sachgerecht sein.
Der selbstanzeigende Steuerpflichtige hat schon ein Eigeninteresse, die Schätzung betragsmässig nicht zu überreissen: Aufgrund der Schätzung wird zunächst die Steuer festgesetzt und ist auch zu zahlen – jedenfalls, wenn sich die Auswertung von Unterlagen länger hinzieht. Eine hohe Schätzung zieht also eine hohe Zahlung mit sich.