Gestaltungsfreiheit und -missbrauch
Nicht nur aus berufsrechtlichen Pflichten sondern auch zur Vermeidung eigener Strafbarkeit ist der steuerliche Berater selbstverständlich gehalten, den Mandanten so zu beraten, dass er in seinen steuerlichen Angelegenheiten sich nicht selbst der Gefahr strafrechtlichen Fehlverhaltens aussetzt.
Im Steuerrecht gilt allgemein der Grundsatz der Gestaltungsfreiheit; der Steuerpflichtige kann seine (zivilrechtlichen) Gestaltungsmöglichkeiten dergestalt ausschöpfen, dass diese für ihn eine möglichst günstige steuerrechtliche Folge ergeben. Der Mandant kann vom steuerlichen Berater verlangen, dass dieser alles Mögliche tut, um auf zulässige Weise den Steueranspruch zu vermindern. Zunächst ist der Steuerpflichtige fast unbeschränkt in der Lage, mit den Mitteln des Zivilrechts seine Rechtsangelegenheiten zu gestalten. Auch ungewöhnliche zivilrechtliche Ausgestaltungen etwa eines Arbeits- oder Gesellschaftsverhältnisses bringen den Steuerpflichtigen nicht in einen Graubereich möglicherweise strafrechtlich relevanten Verhaltens. Jede Gestaltung stellt einen lediglich straflosen Vorbereitungsrahmen dar, der noch gegen keine strafrechtliche Norm verstößt. Das Steuerrecht geht von einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise aus, d. h. der Besteuerung wird derjenige Lebensvorgang unterworfen, der von den Steuerpflichtigen tatsächlich bezweckt werden sollte. Dies führt dazu, dass zivilrechtliche Handlungsformen im Steuerrecht umgedeutet werden können.
Beispiel:
- Schenkt der Vater seiner Tochter zunächst einen Geldbetrag verbunden mit der Auflage, hiermit ein Grundstück zu erwerben, so wird dies als mittelbare Grundstücksschenkung bewertet, was dazu führt, dass die Schenkungsteuer an die nach dem Bewertungsgesetz festzustellenden Bewertungsgrundlagen für Grundstücke anknüpft.
- Absetzen von Darlehenszinsen als Betriebsausgaben nachdem der Darlehensbetrag zuvor einem guten Freund geschenkt wurde. Die Betriebsausgaben werden nicht anerkannt.
Einmal entstandene Steueransprüche bleiben bestehen. Eine zivilrechtliche Gestaltung von Erwerbsvorgängen mit Wirkung für die Vergangenheit ist im Steuerrecht irrelevant.
Die Grenze der Gestaltungsfreiheit ist erreicht, wenn ein Missbrauch der Gestaltungsmöglichkeiten im steuerlichen Sinne nach § 42 AO vorliegt.
Dies bedeutet, dass bei einer missbräuchlichen Steuerumgehung die Besteuerung an derartige Umstände anknüpft, die bei einer ordnungsgemäßen rechtlichen Gestaltung vorgelegen hätten. Nach der Rechtsprechung des BFH ist eine Steuerumgehung „die missbräuchliche Anwendung von Gestaltungsmöglichkeiten des Zivilrechts durch Wahl einer den wirtschaftlichen Vorgängen unangemessenen rechtlichen Gestaltung zum Zwecke der Steuervermeidung (…). Ein Missbrauch der Gestaltungsmöglichkeit liegt daher vor, wenn die rechtliche Gestaltung zur Erreichung des erstrebten wirtschaftlichen Ziels unangemessen ist, der Steuerminderung dienen soll und durch wirtschaftliche oder auch sonst beachtliche außersteuerliche Gründe nicht zu rechtfertigen ist“ (BFH vom 3.2.1993 – I B 90/92, BStBl. II 1993, S. 426).
- 1Durch Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts kann das Steuergesetz nicht umgangen werden. 2Ist der Tatbestand einer Regelung in einem Einzelsteuergesetz erfüllt, die der Verhinderung von Steuerumgehungen dient, so bestimmen sich die Rechtsfolgen nach jener Vorschrift. 3Anderenfalls entsteht der Steueranspruch beim Vorliegen eines Missbrauchs im Sinne des Absatzes 2 so, wie er bei einer den wirtschaftlichen Vorgängen angemessenen rechtlichen Gestaltung entsteht.
- 1Ein Missbrauch liegt vor, wenn eine unangemessene rechtliche Gestaltung gewählt wird, die beim Steuerpflichtigen oder einem Dritten im Vergleich zu einer angemessenen Gestaltung zu einem gesetzlich nicht vorgesehenen Steuervorteil führt. 2Dies gilt nicht, wenn der Steuerpflichtige für die gewählte Gestaltung außersteuerliche Gründe nachweist, die nach dem Gesamtbild der Verhältnisse beachtlich sind.
Beispiel: Umleitung von Einkünften durch die Einschaltung von Basisgesellschaften in Niedrigsteuerländer ohne hinreichenden wirtschaftlichen Grund, insbesondere dann, wenn die Basis- oder Domizilgesellschaften keine eigene wirtschaftliche Tätigkeit entfalten (BFH vom 29.1.1975 – I R 135/70, BStBl. II 1975, S. 553; Klein/Brockmeyer, AO § 42 Rn. 11)
§ 42 AO ist durch das Jahressteuergesetz 2008 neu gefasst worden. Er trat am Tag nach der Verkündung des JStG 2008, somit am 29.12.2007 in Kraft. Er gilt für Steuerfälle ab dem 1.1.2008. Für Kalenderjahre, die vor dem 1.1.2008 liegen, gilt weiterhin § 42 AO in der alten Fassung. Der Gesetzgeber hat versucht, den Begriff des Gestaltungsmissbrauchs gesetzlich zu definieren. Der im Gesetzesentwurf zum JStG 2008 noch enthaltene Begriff, der „ungewöhnlichen“ Gestaltung ist auf erhebliche Kritik gestoßen. Eine abgeschwächte Form hat danach Eingang in den Gesetzestext gefunden. So wird beim Missbrauchstatbestand in Anlehnung auf die höchstrichterliche Rechtsprechung auf die Unangemessenheit einer steuerlichen Gestaltung abgestellt. Hinsichtlich der Anwendbarkeit des § 42 AO verweist dieser zunächst auf die Prüfung der jeweiligen Einzelsteuergesetze, ob diese eine Regelung enthalten, die der Verhinderung der Steuerumgehung dient. Nur wenn dies nicht der Fall ist, kommt § 42 AO direkt zur Anwendung (§ 42 Abs. 1 Satz 3 AO).
Wird somit beim Steuerpflichtigen ein Steuervorteil entdeckt, der so gesetzlich nicht vorgesehen ist, obliegt es der Finanzverwaltung zu überprüfen, ob der Steuervorteil unangemessen ist. Nach der Recht- sprechung des BGH ist dann schon von einer Unangemessenheit auszugehen, wenn sie von verständigen Dritten in Anbetracht des wirtschaftlichen Sachverhalts und der wirtschaftlichen Zielsetzung ohne den Steuervorteil so nicht gewählt worden wäre.
Stellt die Finanzverwaltung tatsächlich eine Unangemessenheit der Steuergestaltung fest, kann der Steuerpflichtige diese Vermutung gem.
§ 42 Abs. 2 Satz 2 AO widerlegen und außersteuerliche Gründe nach- weisen, die nach dem Gesamtbild der Verhältnisse beachtlich sind und eine unangemessene Gestaltung nicht annehmen lassen. Hierbei handelt es sich jeweils um unbestimmte Rechtsbegriffe, die noch zu Auslegungsschwierigkeiten in der Praxis führen dürften.
Beispiel: Das Anlegen von Geldern über Stiftungen im Ausland ist nicht per se steuerstrafrechtlich relevant. Eine Zwischenschaltung von Stiftungen, etwa in Liechtenstein, wird allerdings nach der Rechtsprechung im Sinne von § 42 AO i. V. mit § 15 Außensteuergesetz dann als rechtsmissbräuchlich angesehen, wenn die Stiftung nicht auf eine gewisse Dauer angelegt ist, über kein Mindestmaß an sachlicher und personeller Substanz verfügt und schließlich eine sog. „Briefkasten“-Stiftung darstellt (BFH vom 25.2.2004 – I R 42/02, BFHE 206, S. 5 = DStR 2004, S. 1282 sowie Göres/Kleinert, die liechtensteinische Finanzaffaire – Steuer- und steuerstrafrechtliche Konsequenzen, NJW 2008, S. 1353).
Strafbar ist die missbräuchliche Gestaltung erst dann, wenn die Steuer- umgehung zu einer Steuerhinterziehung wird. Das ist der Fall, wenn unrichtige oder unvollständige Angaben mit dem Ziel, eine Steuerumgehung möglichst zu verschleiern, gegenüber den Steuerbehörden gemacht werden (Stahl, Die steuerlichen und strafrechtlichen Aspekte des Gestaltungsmissbrauchs, StraFo 1999, S. 223, 225, Klein/Brockmeyer, AO, § 42 Rn 27).
Hier ist jedoch große Vorsicht geboten, da die unklare Vorschrift des § 42 AO einen großen Auslegungsspielraum bietet. Oft kann der Steuer- pflichtige überhaupt nicht erkennen, ob eine Gestaltung noch ordnungsgemäß ist oder nicht und seine Erklärung nicht ausreichend dar- auf einstellen. Allerdings besteht natürlich für den Steuerpflichtigen subjektiv häufig die Gefahr, dass die Steuergestaltungsmaßnahme gerade nicht anerkannt wird, wenn sie vollständig gegenüber der Finanzbehörde offen gelegt wird. Deshalb ist der Anreiz, bei der Ausdehnung von Gestaltungsmöglichkeiten nicht alles auf den Tisch zu legen, relativ hoch.
Diese Fragen sind mit den Mandanten eindeutig zu klären. Eine Strafbarkeit wegen Steuerhinterziehung fällt mangels Vorsatz regelmäßig dann weg, wenn der Steuerpflichtige darlegen kann, dass er einen Gestaltungsmissbrauch überhaupt nicht vor hatte. Strittig ist dann, ob von ihm zumindest verlangt werden kann, einen Steuerberater um Rat hin- sichtlich einer zulässigen Gestaltungsmöglichkeit zu befragen. Nach Einschätzung der Rechtsprechung bleibt bei Verletzung einer solchen Erkundigungspflicht zumindest die bußgeldbewehrte leichtfertige Steuerverkürzung zu prüfen (OLG Celle vom 1.10.1997 – 22 Ss 198/97, wistra 1998, S. 196).
Bei dem Vorwurf eines strafrechtlich relevanten Missbrauchs ist es Aufgabe der Steuerstrafverteidigung, eine wirtschaftlich angemessene Steuergestaltung darzustellen, die weder Steuerumgehung noch Steuerhinterziehung ist.