Seit 2007 dürfen EU-Bürger ohne grosse Hindernisse in der Schweiz arbeiten und wohnen und umgekehrt. Dabei gilt es aber einige Besonderheiten zu beachten.
Mit der Einführung der Personenfreizügigkeit gewann die Zuwanderung aus den EU/EFTA-Staaten stark an Bedeutung. In den Jahren 2002 – 2012 belief sich die Netto-Zuwanderung in die Schweiz auf 63’300 Personen pro Jahr. 38’400 stammten aus EU/EFTA-Staaten, wovon 16’300 auf deutsche und 7’500 auf portugiesische Staatsangehörige entfiel. In den Jahren 1991 – 2001 hatte der Wanderungssaldo in die Schweiz noch bei 26’400 Personen pro Jahr gelegen. Die Einwanderung erfolgte damals praktisch ausschliesslich aus Ländern ausserhalb des EU/EFTA-Raums.
Die Masseneinwanderungsinitiative in der Schweiz machte mobil gegen die Personenfreizügigkeit mit der EU
Nach der Annahme der Volksinitiative „Gegen Masseneinwanderung“ durch die Schweizer Bevölkerung und die Kantone am 9.2. 2014 gilt das Personenfreizügigkeitsabkommen (FZA) bis zu einer allfälligen Revision oder Kündigung weiterhin. Inzwischen zeichnet sich mehr und mehr die Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative ab. In seiner Sitzung vom 5.12.2016 folgte der Nationalrat weitgehend dem Vorschlag des Ständerates mit einem gemässigten Inländervorrang. Eine Pflicht zur Meldung vakanter Stellen wird begleitet durch weitere Elemente und Massnahmen zugunsten von bei den Regionalen Arbeitsvermittlungszentren (RAV) gemeldeten Stellensuchenden. Die den RAV gemeldeten Stellen sollen für eine kurze Zeit nur den angemeldeten Stellensuchenden zur Verfügung stehen, also nicht anderswo veröffentlicht werden dürfen. Arbeitgeber müssen offene Stellen hierzu den Regionalen Arbeitsvermittlungszentren (RAV) melden. Das RAV weist dem Arbeitgeber dann „geeignete“ Stellensuchende zu, welche dieser anhören muss. Über das geführte Bewerbungsgespräch muss der Arbeitgeber rapportieren, jedoch ohne eine Nichtanstellung begründen zu müssen, wie es der Ständerat vorgeschlagen hatte. Dies vermeidet eine Diskriminierung ausländischer Arbeitsloser aus dem EU-Raum, als sich diese in den schweizerischen RAV einschreiben und gar von den Beratungs- und Vermittlungsdienstleistungen profitieren können. Dies ergibt sich aus dem Bundesgesetz über die Arbeitsvermittlung und den Personalverleih in Kombination mit dem Freizügigkeitsabkommen.
Niederlassungsfreiheit
Das Freizügigkeitsabkommen zwischen der EU und der Schweiz gewährt eine Niederlassungsfreiheit für Arbeitnehmer und Selbständigerwerbende. Mit Urteil vom 21.9.2016 hat der Europäische Gerichtshof – EuGH – in der Rechtssache Radgen (C-478/15) darüber entschieden, ob die Niederlassungsfreiheit nach dem Freizügigkeitsabkommen zwischen der EU und der Schweiz gleichwertig ist wie die in den EU-Verträgen verbürgte Niederlassungsfreiheit. Dies hat der EuGH mit Einschränkungen bejaht.
Ungleichbehandlung ist an EU-Recht zu messen
Die Bestimmungen über die Gleichbehandlung der Arbeitnehmer nach dem Freizügigkeitsabkommen sind dahin auszulegen, dass sie einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegenstehen, die einem gebietsansässigen unbeschränkt einkommensteuerpflichtigen Staatsangehörigen, der von seinem Recht auf Freizügigkeit für eine nebenberufliche Tätigkeit als Arbeitnehmer Gebrauch gemacht hat, keine Steuerbefreiung für die Einnahmen aus dieser Arbeitnehmertätigkeit gewährt, während eine solche Befreiung gewährt worden wäre, wenn die genannte Tätigkeit in einem EU-/EWR-Staat ausgeübt worden wäre.
Zunächst ist festzustellen, ob die unterschiedliche Behandlung den Steuerpflichtigen davon abhalten kann, sein Freizügigkeitsrecht auszuüben, indem sie einer entsprechenden Arbeitnehmertätigkeit in der Schweiz nachgeht. Dazu stellt der EuGH fest, dass der Begriff der Ungleichbehandlung für die Auslegung des Freizügigkeitsabkommens mit der Schweiz deckungsgleich mit dem Begriff des Unionsrechts ist (Art. 16 Abs. 2 des Freizügigkeitsabkommens).
Rechtfertigung aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses
Nach Auffassung des EuGH kommt es dann darauf an, ob diese Ungleichbehandlung aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist. Dazu verweist er auf Art. Art. 21 Abs. 2 des Freizügigkeitsabkommens: Danach ist es im Bereich der Steuern eine differenzierte Behandlung von Steuerpflichtigen zulässig, die sich – insbesondere hinsichtlich ihres Wohnsitzes – nicht in vergleichbaren Situationen befinden.
Befinden sich die Steuerpflichtigen in einer vergleichbaren Situation, ergibt sich aus der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs über die durch den Vertrag garantierte Freizügigkeit, dass eine unterschiedliche Behandlung aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt sein kann. In diesem Fall muss sie geeignet sein, die Verwirklichung des mit ihr verfolgten Zwecks zu gewährleisten, und darf nicht über das hinausgehen, was zu seiner Erreichung erforderlich ist (EuGH vom 31.3.1993, Kraus, C?19/92, EU:C:1993:125, Rn. 32; vom 16.3.2010, Olympique Lyonnais, C?325/08, EU:C:2010:143, Rn. 38).
Im entschiedenen Fall befand der Gerichtshof, dass die Beschränkung der Steuerbefreiung für Nebeneinkünfte auf solche aus EU-/EWR-Staaten nicht aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist.
Andere Normen des Steuerrechts, die zu einer Ungleichbehandlung von Schweizer Sachverhalten mit solchen in EU-/EWR-Staaten führen, sind mithin daran zu messen, ob sie aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt sind. Dies stellt jedoch keine Besonderheit in Bezug auf das Freizügigkeitsabkommen mit der Schweiz dar. Eine solche Rechtfertigung vermag auch die Ausübung der vom EG-Vertrag verbürgten Grundfreiheiten zu beschränken (EuGH vom 28.1.1992, Bachmann, C?204/90, Slg. 1992, I?249, Randnr. 28; vom 26.9.2000, Kommission/Belgien, C?478/98, Slg. 2000, I?7587, Randnr. 21).
Dazu weist der Gerichtshof darauf hin, dass in Betracht zu ziehen ist, ob die Ungleichbehandlung mit der Notwendigkeit gerechtfertigt werden kann, die Kohärenz des deutschen Steuersystems zu gewährleisten. Nach ständiger Rechtsprechung kann ein auf eine solche Rechtfertigung gestütztes Argument jedoch nur dann Erfolg haben, wenn ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen dem betreffenden steuerlichen Vorteil und dem Ausgleich dieses Vorteils durch eine bestimmte steuerliche Belastung nachgewiesen ist (EuGH vom 23.2.2006, Keller Holding, C?471/04, Slg. 2006, I?2107, Randnr. 40; vom 29.3.2007, Rewe Zentralfinanz, C?347/04, Slg. 2007, I?2647, Randnr. 62; vom 11.10.2007, Hollmann, C?443/06, Slg. 2007, I?0000, Randnr. 56).
- Erwerbstätige Sowohl Arbeitnehmer als auch Selbstständigerwerbende haben im jeweiligen Vertragsstaat (Schweiz oder EU-/ EFTA-Mitgliedstaat) das Recht auf Einreise, Aufenthalt und Arbeitsaufnahme. Einschränkungen bestehen während der Übergangsfristen.
- Nichterwerbstätige Auch nicht erwerbstätige Personen wie Rentner und Studierende haben das Recht auf Einreise und Aufenthalt, sofern sie krankenversichert sind und über ausreichende ?nanzielle Mittel verfügen, so dass sie nicht der Sozialhilfe der Schweiz zur Last fallen.
- Dienstleistungserbringer Dienstleistungserbringer können während maximal 90 Arbeitstagen pro Kalenderjahr ein Recht auf Einreise und Aufenthalt geltend machen. Auch hier gibt es Über- gangsbestimmungen.
Aufenthaltsrecht für Erwerbstätige und Dienstleistungserbringende
- Stellenantritt in der Schweiz: Je nach Dauer des Arbeitsverhältnisses wird eine Kurzaufenthaltsbewilligung L EU/EFTA (Arbeitsvertrag zwischen drei Monaten und 364 Tagen) oder eine Aufenthaltsbewilligung B EU/EFTA (überjährige oder unbefristete Vertragsdauer) ausgestellt.
- Meldepflichtige Arbeit bis zu 90 Tage pro Kalenderjahr: Meldepflichtig sind Staatsangehörige der EU/EFTA-Staaten, die bei einem Schweizer Arbeitgeber bis zu drei Monate in der Schweiz erwerbstätig sind. Die Meldung hat spätestens am Tag vor der Arbeitsaufnahme zu erfolgen.
- Selbstständigerwerbende: Selbstständigerwerbende aus den EU/EFTA-Staaten müssen den Nachweis einer selbstständigen Erwerbstätigkeit (Errichtung eines Unternehmens oder einer Betriebsstätte mit effektiver und existenzsichernder Geschäftstätigkeit in der Schweiz) erbringen, z. B. durch Vorlegen von Geschäftsbüchern (Buchhaltung, Aufträge usw.). Gelingt der Nachweis der Selbstständigkeit, so erhalten sie eine Daueraufenthaltsbewilligung (fünf Jahre). Selbstständigerwerbende verlieren ihr Aufenthaltsrecht, wenn sie nicht mehr für ihren Lebensunterhalt aufkommen können und von der Sozialhilfe abhängig werden.
- Grenzgängerinnen und Grenzgänger: Für Grenzgängerinnen und Grenzgänger wurde mit Inkrafttreten des FZA die Pflicht der täglichen Rückkehr durch eine wöchentliche Heimkehrpflicht ersetzt. Seit dem Ablauf des jeweiligen Übergangsregimes aus den Protokollen I und II muss der Wohnsitz und der Arbeitsort der Grenzgängerinnen und Grenzgänger nicht mehr in der Grenzzone liegen.
- Dienstleistungserbringende: Das FZA liberalisiert die personenbezogene, grenzüberschreitende Dienstleistungserbringung für bis zu 90 Arbeitstage im Kalenderjahr. Es besteht eine vorgängige Meldepflicht. Aufenthalte von Dienstleistungserbringenden während mehr als 90 Arbeitstagen pro Kalenderjahr sind bewilligungspflichtig. In den Bereichen, in denen ein Dienstleistungsabkommen zwischen der Schweiz und der EU besteht (z. B. im öffentlichen Beschaffungswesen), soll die Dienstleistungserbringung nicht durch die Bestimmungen zum Personenverkehr erschwert werden. Staatsangehörige der EU/EFTA-Staaten haben sich acht Tage vor Beginn der Erwerbstätigkeit in der Schweiz anzumelden. In den Branchen Bauhaupt- und Baunebengewerbe, Gastgewerbe, Reinigungsgewerbe in Betrieben und Haushalten, Überwachungs- und Sicherheitsdienst, Reisenden- und Erotikgewerbe sowie Garten- und Landschaftsbau besteht eine Meldepflicht unabhängig von der Dauer des Einsatzes ab dem ersten Einsatztag in der Schweiz. In den übrigen Branchen gilt die Meldepflicht, wenn die Tätigkeit innerhalb eines Kalenderjahrs insgesamt mehr als acht Tage dauert. Für alle Dienstleistungserbringenden, die in der Schweiz einen reglementierten Beruf ausüben möchten, gilt eine zusätzliche Meldepflicht beim Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation SBFI.
Aufenthaltsrecht für Nichterwerbstätige
- Personen, welche nicht erwerbstätig sind (z. B. Rentner und Studierende), haben das Recht auf Einreise und Aufenthalt. Voraussetzung ist, dass sie umfassend krankenversichert sind und über ausreichend finanzielle Mittel verfügen, damit sie keine Sozialhilfe beanspruchen müssen. Wird trotzdem Sozialhilfe beantragt, kann die Aufenthaltsbewilligung entzogen werden.
- Aufenthalte bis 90 Tage: Während drei Monaten können sich nichterwerbstätige EU-28/EFTA-Staatsangehörige bewilligungsfrei in der Schweiz aufhalten.
- Stellensuchende können grundsätzlich für sechs Monate zur Stellensuche in die Schweiz einreisen. Während drei Monaten können sie sich bewilligungsfrei in der Schweiz aufhalten, danach erhalten sie eine Kurzaufenthaltsbewilligung L für weitere drei Monate, wenn sie über ausreichende finanzielle Mittel verfügen, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Sie sollen von der schweizerischen Sozialhilfe ausgeschlossen werden. Wer keine Stelle gefunden hat, erhält auch keine Aufenthaltsbewilligung.
Weitere Bestimmungen
- Familiennachzug: Ungeachtet der Aufenthaltsdauer besteht mit einer Aufenthaltsbewilligung grundsätzlich auch das Recht auf Familiennachzug.
- Geografische Mobilität: Kurzaufenthalts-, Aufenthalts-, Grenzgänger- und Niederlassungsbewilligungen EU/EFTA gelten grundsätzlich für das ganze Gebiet der Schweiz. Staatsangehörige der EU-27/EFTA und ihre Familienangehörigen benötigen keine neue Bewilligung, wenn sie ihren Lebensmittelpunkt in einen anderen Kanton verlegen.
- Berufliche Mobilität: Die Aufenthaltsbewilligung EU/EFTA berechtigt unselbstständig erwerbstätige
- EU-28/EFTA-Staatsangehörige zum Stellen- und Berufswechsel sowie zur Aufnahme einer selbstständigen Erwerbstätigkeit. Die Kurzaufenthaltsbewilligung EU/EFTA erlaubt EU-28/EFTA-Staatsangehörigen einen Stellen- und Berufswechsel im Rahmen einer unselbstständigen Erwerbstätigkeit. Der Wechsel zu einer selbstständigen Erwerbstätigkeit ist für EU-28/EFTA-Staatsangehörige mit einer Kurzaufenthaltsbewilligung EU/EFTA meldepflichtig und setzt die Erteilung einer neuen Aufenthaltsbewilligung voraus. EU-28/EFTA-Staatsangehörige behalten beim Wechsel von einer selbstständigen zu einer unselbstständigen Erwerbstätigkeit ihre Aufenthaltsbewilligung EU/EFTA.
Berufsqualifikation
Das Anerkennungssystem der EU, an dem die Schweiz gestützt auf Anhang III des FZA teilnimmt, gilt für sog. reglementierte Berufe, die aufgrund von Rechts- und Verwaltungsvorschriften nur mit einer bestimmten Berufsqualifikation im Aufnahmestaat ausgeübt werden dürfen. Für sieben reglementierte Berufe (Ärzte, Zahnärzte, Tierärzte, Apotheker, Pflegepersonal in allgemeiner Pflege, Hebammen und Architekten) gilt grundsätzlich die automatische Anerkennung ohne Prüfung der Ausbildungsinhalte, da die Ausbildungsanforderungen in der EU harmonisiert wurden. Bei den meisten reglementierten Berufen vergleicht der Aufnahmestaat die Ausbildung des Herkunftslandes mit der inländischen. Im Falle wesentlicher Unterschiede ist der Aufnahmestaat verpflichtet, Ausgleichsmassnahmen in Form einer Eignungsprüfung oder eines Anpassungslehrgangs anzubieten.
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